Es ist d e r Kerninhalt des Programms der FWG Freien Wählergemeinschaft Bergisch Gladbach, mehr Bürgerbeteiligung in Bergisch Gladbach zu etablieren. Schon zweimal hat die Fraktion im Rat beantragt, Bürgerbeteiligung, die über die gesetzlichen Vorgaben hinausgeht, zumindest bei städtischen Großprojekten zur Regel zu machen und sie zu institutionalisieren. Vergeblich. Sie fand damit bei den anderen Fraktionen keine Resonanz. Das verwundert, denn in den Wahlprogrammen sah das ganz anders aus. Auch die Verwaltung zeigte sich äußerst zurückhaltend. 

Bürgerbeteiligung stellt Parlamente in Frage? 

Hauptargument gegen echte Beteiligungsformate ist, dass damit die bestehende Entscheidungshoheit der gewählten Mandatsträger in Frage gestellt werden könne. Darüber hinaus wurde auch die zusätzliche zeitliche Belastung von Politik und Verwaltung angeführt. 

Nun muss man gar nicht die Schweiz bemühen, um solche Argumente zu widerlegen. Denn auch hierzulande gibt es genügend Beispiele in dafür, dass Bürgerbeteiligung eine Bereicherung kommunaler Politik sein kann.

Nachlassende Wahlbeteiligung fordert neue Ansätze

Ja, Bürgerbeteiligung ist unbequem und macht Mühe. Aber genau das ist es, was wir brauchen. Die Wahlbeteiligung ist auf fast 50 Prozent gesunken, manche Städte erreichen in einigen Wahlbezirken noch nicht einmal mehr 30 Prozent. Die Frage der Legitimation der von weniger als der Hälfte der Bevölkerung gewählten Mandatsträger stellt sich also immer mehr. Das rüttelt gefährlich an den Grundfesten der Demokratie.

Es wäre ein schwaches Argument zu behaupten, das läge allein am allgemeinen kommunalpolitischen Desinteresse. Mag sein, dass das zum Teil zutrifft, aber viele Aktivitäten außerhalb der Parteien zeigen das Gegenteil. Im Übrigen muss man sich auch darüber klar sein, dass ein Teil der Nichtwähler seine Entscheidung sogar bewusst trifft. Wer einmal im kommunalen Wahlkampf gestanden hat, weiß, wie oft der Satz „Ihr macht sowieso was ihr wollt“ zu hören ist. Das zeigt eine gefährliche Abkehr, der gegengesteuert werden muss und auch kann.

Bürger ist Petent: Ausschuss für Anregungen und Beschwerden

Natürlich, alle Bürger wird man mit einem, wie auch immer gerarteten Bürgerbeteiligungsformat nicht erreichen. Aber es wäre schon ein Fortschritt, wenn alle die, denen die Stadt und ihr Umfeld wichtig sind, die sich aber parteipolitisch nicht binden wollen, in die Entscheidungsprozesse einbezogen werden könnten. 

So wäre es klug gewesen, wenn im Jahr 2018/19 der seinerzeitige Vorsitzende des Flächennutzungsplanausschusses und der damalige Bürgermeister sich dafür stark gemacht hätten, dem Bündnis der Bürgerinitiativen zum Flächennutzungsplan eine Anhörung im Ausschuss zu gewähren. Das Bündnis von elf Bürgerintiativen stand in der ersten Phase für 4.000 und in der zweiten Phase des Verfahrens für 2.300 Bürger, die sich gegen den FNP gewehrt hatten. Es begehrte eine zusammenfassende Darstellung der Bürgermeinungen vor dem Flächennutzungsplanausschuss. Eine solche Anhörung wäre durch einen entsprechenden Ausschussbeschluss möglich gewesen. Das wurde aber mit dem Argument rechtlicher Bedenken vereitelt. Externe Institutionen hatten und haben dieses Problem bis heute nicht. Sie werden regelmäßig zur Anhörung in Ausschüssen zugelassen, was auch richtig ist. 

Nun kann damit keinesfalls gesagt werden, dass durch eine damals gewährte Anhörung die Ziele der Bürgerinitiativen von den Mandatsträgern mehrheitlich geteilt worden wären. Die Ausschussmitglieder hätten aber durchaus von dem aufgebauten Sachverstand des Bündnisses der Bürgerinitiativen profitieren können und möglicherweise dann doch den einen oder anderen Teil des Flächennutzungsplanes überdacht. 

Bürgerbeteiligung muss Dauerzustand sein

Bürgerbeteiligung fängt mit Kommunikation an. Und da hapert es, wenn auch Fortschritte nicht zu leugnen sind. Informationstage auf Zanders sind ein positives Beispiel, aber noch nicht ausreichend. Eine permanente Einbeziehung der Bürger ist das nicht. Zudem handelt es sich dabei um ein Projekt, das aus der Sicht der Bürger weit in der Zukunft liegt und noch nicht unmittelbar in ihren Alltag eingreift. Anders sieht es in Schildgen aus. Hier geht es um die problematische Verkehrssituation, die jeder Bewohner täglich erlebt. Eine Bürgerbeteiligung hat bisher nur unzureichend stattgefunden; eíne weitere steht noch aus. Man muss zum heutigen Zeitpunkt jedenfalls feststellen, dass eine repräsentative Zahl von Bürgern bisher nicht einbezogen worden sind. Probleme sind auch in Bensberg zu beobachten. Trotz unbestreitbarer Bemühungen der Stadtverwaltung ist es bis heute nicht gelungen, die unterschiedlichen Interessen zusammenzubringen.

Bürgerbeteiligung erfordert Aufklärung bei komplexen Fragen

Nun gibt es aktuelle Bürgerbeteiligungen zum Handlungskonzept Wohnen oder zum Regionalplan. Eine breite Diskussion bei diesen Themen wird aber leider nicht zu erwarten sein. Denn die mit dem Handlungskonzept oder Regionalplan zusammenhängenden Fragestellungen sind sehr komplex und bedürfen einer längeren Diskussion, die in der vorgegebenen knappen Zeit nicht aufkommen wird. Es bleibt auch unklar, wozu die Bürgerschaft wirklich befragt werden soll, wozu sie ihre Meinung äußern soll. Der Begriff Beteiligung im Sinne echter Teilhabe ist deshalb im Grunde nicht wirklich zutreffend. Sie wäre aber enorm wichtig, weil entscheidende Fragen beantwortet werden, wie wir in dieser Stadt in Zukunft leben werden. 

Und es gibt sicher auch Formate, die übertrieben und ablenkend erscheinen, beispielsweise die mit enormen Aufwand betriebene Lichtgestaltung des Fußgängertunnels unter der Steinstraße. Oder es geht um Themen wie die Namensgebung des Verkehrskreisels Schnabelsmühle. Das ist ein nettes Gimmick, aber keine Bürgerbeteiligung.

Große Fragen, die die Bürger bewegen, bleiben meist außen vor oder werden gar nicht erst aufgeworfen. Wie soll Bergisch Gladbach in Zukunft aussehen. Wieviele Menschen sollen hier leben? Welchen Charakter soll die Stadt bekommen? Darauf eine Antwort der Bevölkerung zu bekommen, hätte eine große Bedeutung für anstehende Schlüsselentscheidungen. 

Wissen und Kenntnisse der Bürger gibt es kostenlos

Und die Menschen dieser Stadt sind dazu fähig und bereit: Wenn man sich einmal anschaut, mit welchem Engagement sich beispielsweise Bürgervereine in Romaney, Herrenstrunden, Moitzfeld und selbstverständlich auch in anderen Stadtteilen in die Entwicklung ihrer Umgebung einbringen sie positiv entwickeln, ist die Frage eigentlich beantwortet. Für Politik und Verwaltung gilt es, diesen Schatz zu heben. 

Dabei geht es gar nicht darum, Bürgerbeteiligung sofort in Strukturen, Institutionen oder Verwaltung einzubetten, sondern in einen permanenten Dialog zwischen Bürgern, Politik und Verwaltung zu kommen. Das schafft Vertrauen. Erst später können und sollen Leitlinien oder Satzungen zur Bürgerbeteiligung erarbeitet werden.

Die Allianz „Vielfältige Demokratie“, ein Netzwerk aus 120 Akteuren aus Verwaltung, Politik und Zivilgesellschaft, initiiert von der Bertelsmann-Stiftung, hat eine fundierte Arbeitshilfe zur Bürgerbeteiligung herausgegeben, die viele gelungene und erprobte Beispiele enthält. Die Ansätze sind dabei sehr unterschiedlich. Gemeinsam ist allen, dass der Prozess der Bürgerbeteiligung ständig evaluiert wird und dass die letzte Entscheidung immer bei den gewählten Mandatsträgern liegt. Es ist also zunächst ein Vortasten, ein Sammeln von Erfahrungen.

Positiv bei allen in der Broschüre angeführten Beispielen: Bürger fühlen sich ernst genommen, bringen enormes Knowhow in die Entscheidungsprozesse ein. Vertrauen entsteht, ja Stolz auf die Heimatgemeinde. Ein weiterer Aspekt kommt hinzu: Bürgerbeteiligung ist preiswert. Natürlich, sie bedarf eines Budgets, dies ist aber gemessen am Engagement und Ortskenntnissen der Bürger und den Ergebnissen der Beteiligungsprozesse gegenüber den Honoraren externer Dienstleister unvergleichlich günstiger.

Probleme sind mit klarem Konzept lösbar

Selbstverständlich gibt es auch Probleme. Am Beispiel der Gemeinde Weyarn in der Nähe von München werden sie auf den Punkt gebracht: Es besteht die Gefahr von Partikularinteressen, die Gefahr der Erosion und Nichtbeachtung gegebener Regeln und auch die Gefahr, dass man eine schweigende Mehrheit doch nicht erreicht. Auch eine Vereinnahmung der Bürgerbewegung durch die Parteien führt zu Frustrationen. Eine perfekte Lösung kann es also nicht geben. Es ist deshalb unabdingbar, dass eine Koordinierungsstelle in der Verwaltung geschaffen wird, die das Miteinander moderiert und auch auf Einhaltung von Regeln achtet. In Weyarn wurde dafür die Institution eines Mitmachamtes geschaffen. Der Bürgerbeteiligungsprozess nennt sich hier „Ergänzende Entscheidungsfindung“. Das bringt es gut auf den Punkt und macht auch klar, dass in einer repräsentativen Demokratie die Entscheidung bei den Parlamenten liegt.

Klimabürgerrat in Bergisch Gladbach, gute Basis für weitere Schritte

In Bergisch Gladbach stehen wir ganz am Anfang und sehen derzeit mehr Vorbehalte als Optimismus. Sowohl aus Kreisen der Politik, dann aber auch seitens der Verwaltung, die als Hauptargument fehlende Ressourcen anführt.

Bürgermeister Frank Stein hat aufgrund der Initiative der FWG zugesagt, sich persönlich des Themas Bürgerbeteiligung anzunehmen. Ein erster Arbeitskreis hat getagt, konnte sich aber nicht auf ein Konzept verständigen, das Politik, Verwaltung und Bürgerschaft in ein Startgremium zusammenbringt. Verwiesen wurde auf die schon vorhandenen Beteiligungsmöglichkeiten wie der Ausschuss für Anregungen und Beschwerden, Bürgerbegehren oder Bürgerentscheid. Diese Formate beziehen sich allerdings in der Regel auf Einzelfragen, werden aber kaum eine breite Themenvielfalt behandeln können. Zudem sind Bürgerbegehren und Bürgerentscheid mit sehr hohem Aufwand verbunden. Sie werden der Idee einer ständigen Mitwirkung der Bürger auch nicht gerecht.

Der Bürgermeister schlug am Ende vor, nach dem Muster des Klimabürgerrates ein weiteres Gremium zu etablieren, das sich mit einer anderen, die Bürger bewegenden Thematik befasst. Wenn auch der FWG dieser Vorschlag nicht weit genug geht, wäre das ein Anfang. Eine Basis, auf der man aufbauen kann.

Bürgerbeteiligung muss am Ende des Tages zur Normalität werden und möglichst die gesamte Stadtgesellschaft einbinden, die aus vielen Akteuren besteht. Dabei wird man einen Weg finden müssen, wie deren Repräsentativität und Vertretung in einem arbeitsfähigen Gremium sichergestellt werden kann. Lösungen und Erfahrungen dazu gibt es. Man muss das Rad nicht neu erfinden. Und zur Bürgerbeteiligung gehört, dass nicht nur smarte Themen diskutiert werden, bei denen es in der Gesellschaft kaum Dissenz gibt, sondern man sich mit konkreten kommunalpolitischen Fragen befasst, gerade da, wo unterschiedliche Meinungen aufeinandertreffen.