Eine große Chance und Herausforderung zugleich ist die Konversion des Zanders-Geländes. Welche Dimension die Umwandlung am Ende haben wird, ist zunächst einmal abhängig vom Fortbestand der Zanders-Papierproduktion in Bergisch Gladbach, für den momentan niemand in der Lage ist, eine Prognose abzugeben. Deshalb werden Modelle diskutiert, wie man sich in mehreren Stufen einer Verwirklichung eines -vereinfacht gesagt – neuen Stadtteils nähern kann. Es geht aber nicht nur darum, 37 Hektar zu gestalten oder zu bebauen, sondern bei dieser Größenordnung am Ende sogar um die Rolle, die Bergisch Gladbach im Rheinischen Ballungsraum spielen will.
Ein Filetstück, das seinesgleichen sucht
Es gibt wohl nur selten so ein Filetstück in unmittelbarer Nähe einer Innenstadt, das auf den ersten Blick soviel Freiheit hinsichtlich seiner Gestaltungsmöglichkeiten bietet. Entsprechend groß ist die Anzahl der Ideen, was man so alles mit dem Gelände anfangen könnte. Das fängt bei einer Kletterhalle an und hört bei einer Fachhochschule auf.
Für alles gibt es Argumente. Die Gefahr besteht aber darin, vor lauter Ideen nicht mehr zu sehen, welche grundsätzlichen Chancen und Herausforderungen mit der Gestaltung einer so großen Fläche verbunden ist. Das gesamte Zanders-Gelände entspricht in etwa dem Ostbereich der Neuen Bahnstadt Opladen, die mit 44 Hektar um 7 Hektar größer ist und von der ein Großteil der die hier veröffentlichen Fotos stammen. Dort ist mit Stadtwohnungen, Ein- und Reihenfamilienhäusern sowie weiteren Einrichtungen wie dem Campus Leverkusen der TH Köln ein attraktives Wohnquartier für 1.300 Menschen entstanden. Historische Gebäude wurden erhalten, ebenso viele begrünte Freiflächen geschaffen. Der Schwerpunkt der Umgestaltung des Geländes lag eindeutig beim Wohnungsbau und das ist vor dem Hintergrund der Wohnungssituation an der Rheinschiene sicher zu begrüßen.
Nicht verzetteln: Wohnungsbau muss vorrangig sein
Nach einer Studie des Institutes der deutschen Wirtschaft (2018-2020) ist in Köln der Wohnungsbedarf gerade zur Hälfte gedeckt, im Rheinisch Bergischen Kreis zu 80 Prozent, während es schon im Märkischen Kreis, also etwa 60 Kilometer weiter, einen Wohnungsüberhang gibt. Nun wollen die Menschen in der Regel dort wohnen, wo sie auch ihr Geld verdienen und das sind eben die Ballungsräume und die Städte mit universitärem Bildungsangebot. Ein wenig könnte die Zunahme des in Corona-Zeiten erprobten Homeoffice dazu beitragen, dass sich die Wohnungsnachfrage im Kernbereich der Rheinschiene entspannt. Nach Ansicht des Präsidenten des Deutschen Instututs für Wirtschaftsforschung könnten maximal 40 Prozent der Arbeitnehmer zu Hause arbeiten. Das ist aber ein theoretischer Wert. Vielfach wünschen sowohl Arbeitgeber wie Arbeitnehmer Präsenzzeiten, zumindest zeitweise. Ein Wegzug der Familien, die auch auf Schulen, Versorgung, Betreuung angewiesen sind, ist deshalb kaum zu erwarten.
Die Wohnungssituation wird deshalb zunächst einmal angespannt bleiben. Eine von Prognos im Auftrag des Verbändebündnis Wohnungsbau gefertigte Studie zeigt, dass die Zahl der Haushalte weiter steigen wird, während ihre durchschnittliche Größe schrumpft. Zusammen mit der gestiegenen Zuwanderzahl bedeutet dies einen steigenden Bedarf nach Wohnraum.
Gleichzeitig ist es heute politischer Konsens, dass der Flächenfraß wegen der Klimaziele ein Ende finden muss. Das berücksichtigend empfahl das Büro für Raumanalysen und Beratung, Hannover, bereits 2014 in einem Ratgeber für Kommunen, sich auf die Innenentwicklung der Städte mit starker Diversifizierung des Wohnungsangebotes zu konzentrieren. Dem sind andere Institutionen gefolgt.
Das Zanders-Gelände ist für eine solche Innenentwicklung geradezu maßgeschaffen. Sie sollte allerdings behutsam erfolgen. Ein zweites Klein-Manhattan wäre unangebracht.
Vorteil direkter Anschluss an den ÖPNV
Ein Wohnquartier in der mit der Bahnstadt Opladen vergleichbaren Größenordnung kann aber bedeuten, dass etwa 650 Fahrzeuge (durchschnittliche Zahl der Autos je 1000 Einwohner in NRW) irgendwo abgestellt werden, vor allem aber sich dorthin und von da bewegen. Darauf ist zu Recht im anlaufenden Planungsverfahrens hingewiesen worden und der Verkehr ist sicher neben der Aufbereitung des Geländes und Beseitigung möglicher Umweltschäden die größte Herausforderung.
Nun bietet das Zanders-Gelände auf der anderen Seite, ähnlich wie die Bahnstadt Opladen, ungeheure Vorteile, als da sind: Anbindung an den ÖPNV, insbesondere wenn zusätzlich zur S-Bahn-Linie 11 die Straßenbahnlinien 3 und 18 bis Zanders verlängert würden und eine vorhandene fußläufig erreichbare Nahversorgung durch direkte Anbindung an die Bergisch Gladbacher Innenstadt. Das hätte den Vorteil, dass mit einem neuen Wohnquartier der Handel maßgebend belebt werden und an diesem Standort tatsächlich die Zahl der Autos und der Fahrten mit ihnen stark reduziert werden kann.
Infrastruktur von Anfang an mitdenken
Wichtig erscheint, bei der Schaffung eines Wohnquartiers in dieser Größenordnung von Anfang an die benötigte Infrastruktur mitzudenken. Kitas, Schulen, Elektroladestationen. Und sicher trägt maßgeblich zum Wohlfühlfaktor bei, wenn ähnlich wie in der Bahnstadt Opladen durch Verlängerung des Grünzuges vom Quirlsberg und mit der Freilegung der Strunde, aber auch mit dem Erhalt historischer Gebäude ein reizvolles Wohnumfeld mitten in der Stadt entsteht.
Um es klar zu sagen: Das Zanders-Gelände ist ein Goldstück für ein außergewöhnliches Wohnquartier in Bergisch Gladbach und kann, nein wird ein echter Schritt nach vorne sein, trotz bestehender technischer und ökologischer Umwägbarkeiten auf dem Gelände. Eine solche städtebauliche Planung muss gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern dieser Stadt erfolgen.
Leuchtturmprojekt für Bürgerbeteiligung
Kommen wir aus diesem Grunde zurück auf den bisher stattgefundenen Diskussionsprozess mit Beteiligung der Öffentlichkeit, der einerseits stark unter der Corona-Pandemie leiden musste, auf der anderen Seite aber auch nicht die erforderliche repräsentative Breite gefunden hat. Vielleicht liegt es daran, dass der bisherige Planungsstand sich noch zu abstrakt darstellt, vielleicht liegt es am Gefühl, beim Mitmachen indirekt auch über den Papierproduktionsstandort Zanders entscheiden zu müssen, vielleicht ist es die zu abgehoben klingende Sprache, mit der die Bürgerschaft aufgefordert wurde sich zu beteiligen. Und natürlich haben die Menschen derzeit auch andere Sorgen.
Die Projektgruppe Zanders Innenstadt um ihren Leiter Udo Krause hat mehrfach deutlich gemacht, dass man Wege sucht, mehr Bürger zum Mitmachen zu gewinnen und dass bei diesem Projekt Bürgerbeteiligung mehr sein soll als eine Pflichtveranstaltung zur Sicherstellung von Fördergeldern. Das ist sehr zu begrüßen.
Zanders könnte so dazu dienen, in unserer Stadt ein Leuchtturmprojekt für Bürgerbeteiligung zu werden.
Erfolgreiche Bürgerbeteiligung erfordert verlässliche Verfahrensregeln
Die FWG Freie Wählergemeinschaft Bergisch Gladbach hat nicht zuletzt deshalb im März 2021 einen Antrag beim Hauptausschuss des Rates eingebracht, schnellstmöglich ein drittelparitätisch besetztes Gremium aus Bürgern, Verwaltung und Politik zu bilden, das Vorschläge für Bürgerbeteiligungsmodelle erarbeitet. Denn es ist heute bei nachweislich schwindendem Verständnis für viele politische und damit auch gerade kommunalpolitische Entscheidungen wohl keine Frage mehr, ob Bürgerbeteiligung eine Abhilfe sein kann, Politikverdrossenheit abzubauen. Sie ist es.
Der FWG-Antrag ist mit den Stimmen von Grünen, SPD und FDP abgelehnt worden. Die CDU hat ihm erfreulicherweise zugestimmt. Die Ampel ist stattdessen dem Vorschlag der Verwaltung gefolgt, das Thema zunächst einmal verwaltungsintern zu behandeln.
Wir fragen uns, warum man jetzt nicht den Mut hat, eine offene Diskussion aller Beteiligten zu wagen? Die FWG hat immer wieder und zuletzt auch im Antrag selbst betont, dass es nicht darum geht, repräsentative Demokratie in Frage zu stellen oder notwendige, letzte Entscheidungen von Mandatsträgern abzuschaffen. Wir wollen aber andererseits einen Beteiligungsprozess zu einer dauerhaften Pflicht zu machen. Zum Antrag der FWG hat die Verwaltung ausgeführt, dass zur verwaltungsinternen Vorbereitung keine Personalressourcen vorhanden sind. Somit muss davon ausgegangen werden, dass Bürgerbeteiligung in Bergisch Gladbach nur sporadisch erfolgt und in den kommenden Jahren kein Selbstverständnis sein wird.
Bedauerlich. Denn gerade beim Großprojekt Zanders muss eine Einbeziehung der gesamten Stadtgesellschaft erfolgen. Die bisherigen Veranstaltungen und Anhörungen der Bürgerinnen und Bürger haben aber auch gezeigt, dass es nötig ist, die vielen Ideen zu kanalisieren. Alles geht eben nicht. Deshalb muss gerade hier ein gestuftes Verfahren zur Entscheidungsfindung verbindlich werden. Aber bitte mit den Bürgerinnen und Bürgern und nicht mit Hilfe einer Pseudo-Beteiligung, nachdem die Pläne bereits stehen.
Zum Abschluss nochmal zurück zur Bahnstadt Opladen. 650 Bürger waren dort permanent, systematisch und regelmäßig in die Planungsprozesse eingebunden. Erfolgreiche Instrumente der Gewinnung engagierter Menschen aus der Bürgerschaft waren: Öffnung des Geländes für alle, regelmäßige Begehungen und Spaziergänge, Feste, Flohmärkte, (preiswerte) Zwischennutzungen.
So könnte es in Bergisch Gladbach doch auch laufen. Die FWG ist bereit, für einen solchen Beteiligungsprozess der Bürgerinnen und Bürger aktiv zu werben und mitzuwirken.